Jethro Tull (kurz: Tull) ist eine 1967 gegründete britische Rockband. Ständiges Mitglied und Bandleader ist der Komponist, Multiinstrumentalist und Sänger Ian Anderson (Gesang, Querflöte, Saxophon, Tin Whistle, Mundharmonika, akustische Gitarre, Mandoline und andere).

Jethro Tull ist die einzige international erfolgreiche Band der Rockgeschichte, in deren Musik die Querflöte eine tragende Rolle einnimmt. Charakteristisch sind perfektionierte Techniken des forcierten Ausdrucks, etwa scharfes Anblasen, Flatterzunge und gleichzeitiger Stimmeinsatz. Der musikalische Stil der Band wird weithin dem Progressive Rock und Hard Rock und partiell dem Blues- und Folk-Rock zugeordnet. Zudem verarbeitete Jethro Tull Einflüsse aus Jazz, Weltmusik und elektronischer Musik.

Bandgeschichte

Frühe Jahre

Im November 1967 wurde Jethro Tull von Ian Anderson, Mick Abrahams, Glenn Cornick und Clive Bunker in Blackpool, damals Teil der Grafschaft Lancashire, gegründet. Anfangs wurde die Gruppe kaum gebucht, daher versuchte sie, mit wechselnden Namen Interesse zu wecken. So trat sie zeitweise unter der Bezeichnung The Four Fingers auf. Als sie das erste Mal im legendären Londoner Marquee Club gebucht wurde, hatte sie ein historisch versierter Buchungsagent gerade „Jethro Tull“ genannt, und dabei blieb es dann. Jethro Tull, der im 18. Jahrhundert lebte, gilt als Begründer der modernen Landwirtschaft.

Am Beginn ihrer Laufbahn tourte Jethro Tull durch zahlreiche Musikclubs in England. Im Marquee Club spielte die Formation regelmäßig und fand aufgrund ihres ungewöhnlichen Sounds und ihrer extravaganten Performance schnell eine große Fangemeinde. Beim Sunbury Jazzfestival im Sommer 1968 kam der Durchbruch für Jethro Tull.

Von Anfang an waren sich die Musikkritiker darin uneins, welchem Musikstil Jethro Tull zuzuordnen sei. Teilweise wurde ihre Musik als Progressive Rock und teilweise als Classic Rock bezeichnet. Das erste Album This Was (1968) war noch sehr bluesorientiert, doch sind mit dem markanten Gesang und der Querflöte Ian Andersons bereits einige Aspekte des späteren Tull-Stils präsent. Nach dem Ausstieg des bekennenderweise sehr auf den Blues fokussierten Gitarristen Mick Abrahams, der auf dem Debütalbum etwa den gleichen Anteil am Songwriting hatte wie Ian Anderson, wurde das musikalische Spektrum deutlich erweitert. Exemplarisch sei die Adaption der Bourrée aus der Suite für Laute in e-Moll (BWV 996) von Johann Sebastian Bach genannt, die sich bereits auf dem zweiten Album Stand Up (1969) weit vom Bluesrock-Schema des Erstlings entfernt: Zunächst das Bach-Thema andeutend, entwickelt sich eine treibende, präzise Jazzrock-Nummer mit einem improvisationsdurchsetzten Flötensolo, das weder melodisch an Bach noch spieltechnisch an frühe Vorbilder wie Roland Kirk erinnert.

Eine der wenigen kommerziell erfolgreichen Single-Veröffentlichungen ist der frühe Song Living in the Past von 1969, welcher durchgängig im 5/4-Takt komponiert ist und vornehmlich durch diese ungerade Taktierung seinen besonderen Charakter erhält. Im selben Jahr tourte die Band mehrmals in den USA und wurde auch dort bekannt. 1970 erschien das Album Benefit.

Ihren größten Erfolg erreichte die Band mit dem ersten von drei in Folge erschienenen Konzeptalben, Aqualung (1971), das neben dem Titelsong einige weitere Tull-Klassiker enthält, allen voran den vielleicht bekanntesten Song der Band, Locomotive Breath. Anderson zweifelte an der Klassifizierung als Konzeptalbum durch die Musikpresse („just a bunch of songs“; dt.: nur eine Ansammlung von Liedern).

Progressive Rock (1972–1976)

Er entschloss sich daher zu demonstrieren, was ein wirkliches Konzeptalbum sei: Dem Nachfolgealbum Thick as a Brick (1972) liegt die musikalische Form der Suite zugrunde, bei der verschiedene musikalische Themen mittels variantenreicher Übergänge zu einer größeren musikalischen Einheit zusammengefasst werden. Mit A Passion Play wurde 1973 ein weiteres, kommerziell weniger erfolgreiches Konzeptalbum veröffentlicht. Die darauf erreichte Komplexität polarisiert bis heute Fans und Kritiker – das Spektrum reicht von krasser Ablehnung bis zur Einschätzung als dem wichtigsten Album der Band. Die nachfolgenden Alben wurden wieder in Form einzelner Songs strukturiert, wobei bis 1980 (A) neben wenigen eingängigeren Liedern vor allem komplex arrangierte Stücke das Bild prägen, wohl nicht zuletzt aufgrund der detaillierten Spielweise der Schlagzeuger Barrie Barlow und Mark Craney.

Folk-Rock (1977–1979)

Die Alben Songs from the Wood (1977), Heavy Horses (1978) und mit Abstrichen noch Stormwatch (1979) werden oft unter dem Etikett „Folk-Rock-Phase“ zusammengefasst. Dies erscheint vordergründig aufgrund der weitgehend akustischen Instrumentierung und der Textbezüge zum Leben auf dem Land und zu Naturmythen nachvollziehbar, aber aufgrund der eigenständigen Kompositionen und der für die traditionelle Folkmusik eher untypischen Komplexität der Arrangements, vor allem auf Songs from the Wood, auch irreführend. Hinzu kam, dass ab Stormwatch auch zunehmend Politik eine textliche Rolle einnahm; so kritisierte besagtes Album die Ölförderung in der Nordsee.

Electronic-Rock (1980–1984)

Das Folgealbum A (1980) wies mit Texten über Frühwarnanlagen und Zivilschutz Bezüge zur Atompolitik auf.

Ab 1982 war der maßgebliche Schlagzeuger der Band Doane Perry. Nur phasenweise trommelten Gerry Conway, Dave Mattacks und andere. Perrys ruhiger und geradliniger, „lyrischer“ Stil geht seitdem mit etwas konventionelleren Rock-Arrangements einher. Eine Ausnahme ist das wieder in hohem Maße polarisierende Album Under Wraps aus dem Jahr 1984. Der starke Einfluss des im Umgang mit den neuen digitalen Synthesizern versierten Keyboarders Peter-John Vettese sowie ein von Ian Anderson programmierter Drumcomputer, der zum Teil zu Drumtracks führte, die ein menschlicher Schlagzeuger kaum reproduzieren kann, führten noch einmal zu einem (in Teilen) sehr komplex arrangierten Album. Entsprechend energetisch ist auch Ian Andersons Gesangsleistung, die dieser selbst in Interviews als die beste seiner Karriere bezeichnete. Fatalerweise stellten die neuen Stücke bei der anschließenden Tournee derartig hohe Anforderungen an Ian Andersons Stimmbänder, dass diese nachhaltig geschädigt wurden. Dies schränkte noch jahrelang die gesanglichen Möglichkeiten Andersons ein.

Hard Rock (1987–1994)

Das nach dem geteilten Echo und den Stimmproblemen erst 1987 erschienene Nachfolgealbum Crest of a Knave beendete die Phase eines keyboarddominierten Sounds und rückte das eindringliche E-Gitarren-Spiel Martin Barres stärker in den Vordergrund als auf allen bisherigen Alben. 1989 gewann Crest of a Knave den ersten und einzigen je vergebenen Grammy in der Sparte Beste Hard-Rock-/Metal-Darbietung – Gesang oder Instrumental.

Weltmusik-Einfluss (1995–2000)

Als das innovativste Tull-Album der 1990er Jahre wird oft Roots to Branches (1995) betrachtet. Im Gegensatz zu den Jethro-Tull-Alben der frühen 1980er Jahre steht auf diesem Album Andersons Flötenspiel im Vordergrund. In zahlreichen Intros und Soli demonstriert Ian Anderson, dass er filigrane Phrasierungen und Verzierungstechniken beherrscht. Der Autodidakt hatte sich in die schulmäßige Griffweise beim Spielen der Querflöte, die klassisch ausgebildete Flötisten verwenden, erfolgreich eingearbeitet und kombiniert eine reine, klassisch anmutende Spielweise mit dem ihm eigenen, rauen Rock-Flöten-Stil. Zudem sind erstmals deutliche Einflüsse traditioneller orientalischer Musik zu hören, und erstmals verwendet Anderson bei einigen Stücken Bambus-Querflöten, deren offene Grifflöcher im Gegensatz zur Klappenmechanik der Böhm-Flöte Techniken wie Pitchbending und Glissando ermöglichen, bei denen die Tonhöhe stufenlos verändert wird. 1999 erschien das Album J-Tull Dot Com, das in den deutschen Charts Platz 14 belegte.

Ausklang (2000–2011)

Nach dem Album Dot Com von 1999 folgte eine längere Phase bloßen Konzertbetriebs, aber ohne reguläre neue Studioalben.

Ende 2003 wurde das Christmas Album veröffentlicht, für das ältere Stücke neu eingespielt wurden und neues Material passend zum Arbeitstitel geschrieben wurde. Es ist das letzte Studioalbum von Jethro Tull.

2005 erschien das Album Ian Anderson Plays the Orchestral Jethro Tull, an dem auch David Goodier und John O’Hara sowie der Gitarrist Florian Opahle beteiligt waren. 2007 verließen der Bassist Jonathan Noyce und der Keyboarder Andrew Giddings die Band und wurden durch Goodier und O’Hara ersetzt. 2008 bis 2011 ging Jethro Tull auf „40th Anniversary Tour“ bis „43rd Anniversary Tour“.

Inaktivität (2012–2015)

Im Jahr 2012 verließ der langjährige Gitarrist Martin Barre offiziell die Band. Florian Opahle, der Gitarrist der zunehmend aktiveren Alternativbesetzung, hatte Barre bereits mehrmals vertreten. Barre sowie Ian Anderson tourten mit jeweils eigenen Bands, mit denen sie auch neue Studioalben einspielen, wobei auf Alben-Covern und Konzertankündigungen weiterhin der Name Jethro Tull Verwendung fand.

Vierzig Jahre nach dem ersten Teil veröffentlichte Anderson im Jahr 2012 Thick as a Brick 2 – wie 1972 ein sowohl im Libretto als auch musikalisch verwobenes Konzeptalbum, das sich stilistisch zwischen den akustisch orientierten vorangegangenen Soloalben Andersons und hartem Rock bewegt. Es wurde von Anderson mit der „Ian Anderson Touring Band“ eingespielt, die auch die folgende Tournee bestritt. Ihr gehören mit Goodier und O’Hara zwei ehemalige Jethro-Tull-Mitglieder sowie Opahle, der Schlagzeuger Scott Hammond und als zusätzlicher Sänger Ryan O’Donnell an.

2014 folgte das Konzeptalbum Homo Erraticus („Der wandernde Mensch“), das von der Vorgeschichte bis in die Zukunft prognostizierend achttausend Jahre menschlicher Migration behandelt. In den Liner Notes erklärt Anderson, dass er künftig unter eigenem Namen auftreten werde, zumal fast das gesamte Werk der Band von ihm stamme. Er verwies auch darauf, dass „Jethro Tull“ der Name eines anderen Mannes sei und die Band nur zufällig so genannt wurde.

Neubeginn (seit 2015)

Seit 2015 tourt Anderson mit dem Projekt Jethro Tull – The Rock Opera, das textlich modifiziertes Tull-Repertoire und neue Rocksongs über den Namensgeber der Band, Jethro Tull, mit aufwändigen Videoproduktionen auf die Bühne bringt, wobei neben dem Konzeptcharakter auch verschiedene, zum Teil über Videoeinspielungen eingewobene Gesangsrollen dem Format der Rockoper entsprechen. Es ist zum ersten Mal eine Sängerin dabei: die Isländerin Unnur Birna Björnsdóttir, die auch Violine spielt. Die Tour 2016 führte durch Europa und in die USA. 2017 folgten Auftritte in Australien und Neuseeland sowie in Osteuropa. Im Jahr 2018 tourte Jethro Tull anlässlich ihres 50. Jubiläums durch Europa und Nordamerika.

Charakteristika der Band

Die Geschichte der Band ist durch oftmals wechselnde Besetzungen geprägt. Ian Anderson strebt es an, jeweils kompetente Musiker um sich zu scharen, die in der Lage sind, auch seine ausgefallenen, schwierig zu spielenden musikalischen Ideen adäquat umzusetzen – sowohl im Studio als auch auf der Bühne. Die Live-Auftritte von Jethro Tull waren dementsprechend von großer musikalischer Professionalität gekennzeichnet. Den ab 1969 bestehenden Kern von Jethro Tull bildeten der Frontmann Anderson und der Gitarrist Martin Barre.

Markenzeichen von Jethro Tull ist das virtuose rock-orientierte Flötenspiel des Sängers und Komponisten Ian Anderson. Zahlreiche Kompositionen sind durch die Verwendung von Molltonarten, eine starke Dynamik, häufige Taktwechsel sowie vielfältige Synkopen und Offbeats geprägt. Allerdings gibt es bei Jethro Tull auch etliche balladeske Stücke, die aber durch einfallsreiche Instrumentierung und Phrasierung stets Tull-typische rockige Akzente erhalten. Viele der Texte Ian Andersons sind originell, teilweise skurril, und handeln bei aller Hintergründigkeit von alltäglichen Menschen und Begebenheiten.

Ian Anderson mit Jethro Tull in Butzbach, Deutschland, am 6. Juni 2007

Gastmusiker

  • Phil Collins spielte bei zwei Stücken am 21. Juli 1982 Schlagzeug
  • Florian Opahle ist seit 2004 auf einigen Live-Mitschnitten zu hören und zu sehen
  • Maddy Prior sang auf der LP Too Old to Rock ’n’ Roll: Too Young to Die! im Hintergrund
  • Angela Allen sang ebenfalls auf Too Old to Rock ’n’ Roll: Too Young to Die! im Hintergrund
  • Anna Phoebe begleitete ab 2007 einige Lieder auf der Violine
  • Egill Ólafsson von der isländischen Band Þursaflokkurinn sang beim Konzert am 9. Juni 2013 in der Harpa in Reykjavík bei mehreren Titeln mit und spielte bei One White Duck / 010 = Nothing at All zudem Gitarre. Außerdem wurde Brúðkaupsvísur, ein Þursaflokkurinn-Klassiker, gespielt, den Égill Ólafsson komponiert hat.

Auszeichnungen

  • Im Jahr 1989 gewann Crest of a Knave den ersten und einzigen Grammy für die beste Hard-Rock- oder Heavy-Metal-Darbietung (siehe auch: Grammy Award for Best Hard Rock/Metal Performance Vocal or Instrumental).
  • Im Jahr 2005 erhielten Ian Anderson und Martin Barre eine Auszeichnung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens der Italienischsprachigen Schweiz zur Ehrung ihrer „meisterhaften Verschmelzung von Stilen und Werten traditioneller Musik mit zeitgenössischem Rock“.
  • Im Jahr 2006 erhielt Ian Anderson von der British Academy of Composers and Songwriters den Ivor Novello Award, eine Auszeichnung für herausragende Komponisten und Autoren im Bereich der nichtklassischen Musik.
  • Im Jahr 2008 wurde Ian Anderson für seine musikalischen Verdienste zum Member of the Order of the British Empire ernannt.
  • Im Jahr 2013 erhielt Ian Anderson bei den Progressive Music Awards den Titel Prog God.
Quelle: Wikipedia